Es begann vor der Bühne
Gerade bin ich aus Cornwall zurückgekehrt, wo ich als Sprecherin bei Agile on the Beach teilnehmen durfte. Eine neue Konferenz, eine neue Community, ein weiteres Badge in meiner Sammlung. Und es war wieder eine großartige Erfahrung. Das war bereits meine achte Konferenz als Vortragende in diesem Jahr, und noch lange nicht die letzte. Doch ich sollte diese Geschichte am Anfang beginnen. Als ich bei cronn anfing, war ich noch weit davon entfernt, auf internationalen Fachkonferenzen zu sprechen. Mit einem Diplom in Mathematik und noch wenig Ahnung von Testautomatisierung oder Agilität stand ich kurz vor meinem ersten Tag bei cronn, als eine zukünftige Kollegin mich anrief und erzählte, meine neuen Tester-Kolleg:innen buchten gerade Tickets für eine Konferenz, und fragte, ob ich Lust hätte mitzukommen. Na klar hatte ich Lust, aber ich kam mir doch etwas voreilig vor. Noch keinen Tag in der Firma und schon möchte ich auf eine Konferenz geschickt werden? Doch meine Kollegin versicherte mir, das sei alles mit dem Chef abgesprochen und gar kein Problem. Nun gut, Fortbildungsbudget will ja auch benutzt werden, dachte ich mir, und sagte zu.
Ein halbes Jahr später – ich hatte nun etwas weniger wenig Ahnung – reisten meine neuen Kolleginnen und Kollegen und ich gemeinsam nach Potsdam zu den Agile Testing Days, einer der größten Konferenzen für Agiles Testen in Europa. Von der ersten Minute an war ich begeistert. Die Konferenz ist wie ein großes Festival, auf dem man viel lernt und viel Spaß hat. Die Community ist unglaublich offen und hilfsbereit, und nimmt Neue mit offenen Armen auf. Staunend hörte ich den Vortragenden zu und wusste, auf dieser Bühne möchte ich auch eines Tages stehen.
Eine Idee und viel Mut
In den Monaten danach reifte in meinem Kopf eine Idee für einen Vortrag. Aber als dann der Call for Papers für die nächsten Agile Testing Days kam und ging, war ich viel zu feige, den Vorschlag auch tatsächlich einzureichen. Also war ich im Folgejahr wieder Zuschauer und ärgerte mich über mich selbst. Zurück im Büro erzählte ich beim Feierabendbier (leicht übermütig), ich wolle selbst Sprecherin werden. Jobst, Gründer und CEO, sagte mir sofort seine und cronns Unterstützung zu; mehr noch, beim nächsten Jahresgespräch hielten wir gemeinsam als Ziel fest, dass ich es zumindest versuchen würde. Beim nächsten Mal waren kalte Füße also keine Option mehr, da hatte ich mir ja schön etwas eingebrockt. Also schrieb ich ein Proposal. Dann kam der letzte Tag des CFP für die Agile Testing Days 2020, ich drückte mit furchtbarer Angst vor der eigenen Courage den „submit“ Button; und ein paar Monate später las ich dann „Congratulations Sophie, your talk has been selected for the Agile Testing Days 2020!“. Ich konnte es kaum fassen. Ich schrieb den Vortrag, gestaltete Folien, übte vortragen. War der Abstract schon eine Herausforderung, so war er nichts gegen die Arbeit, die ich in den Vortrag steckte. Aber ich hatte Rückendeckung von cronn, die Zeit durfte ich mir neben meiner Projektarbeit immer nehmen.
Dann kam der große Tag, der 11.11.2020, mein erster Vortrag vor internationalem Publikum. Nun, über das Jahr 2020 muss ich nicht viele Worte verlieren. Kurz gesagt, auf einer Bühne in einem Konferenzhotel stand ich nicht. Die Konferenz fand zum ersten – und hoffentlich letzten – Mal online statt. Kurzerhand hatten wir das Büro in ein Studio umgebaut; Rednerpult, Mikrofon und Kamera im Konferenzraum aufgestellt. Nur schaute ich statt in die Gesichter der Zuhörenden in eine Linse. Trotzdem werte ich diesen Tag für mich als vollen Erfolg. Ich habe meine Nervosität überwunden und meine Geschichte erzählt; und ich habe hervorragendes Feedback erhalten: Mein Talk landete unter den zehn am besten bewerteten Sessions der Veranstaltung, und Menschen, zu denen ich aufblicke, deren Bücher und Blogs ich regelmäßig lese, haben mir zugehört und mich gelobt. Ich wünschte, ich könnte dieses Gefühl in Flaschen abfüllen.
Auf den Bühnen Europas
Hinterher bekam ich von einem Freund einen sehr schlauen Ratschlag: „So ein Vortrag ist viel zu viel Arbeit, um ihn nur einmal zu halten.“, und den nahm ich mir auch zu Herzen. Ich reichte ihn wieder ein, und wurde wieder angenommen. Irgendwann musste ich ihn gar nicht mehr einreichen, sondern wurde eingeladen. Mittlerweile sind mein Vortrag und ich ganz schön rumgekommen, virtuell nach Potsdam, Berlin und Istanbul, in 3D nach Kopenhagen, Utrecht, Paris, München und ins Phantasialand. Ich stand auf großen und kleinen Bühnen, einmal auf einer Eisbahn. Ich durfte vor der Tester-Community, vor Java-Entwicklern und vor Software-Architekten sprechen, bei Agile Testing Days, EuroSTAR, FlowCon, TestJam, JavaLand, und weiteren. Mal war es ein Track-Talk, manchmal sogar eine Keynote. Zweimal habe ich Preise mit dem Vortrag gewonnen, den Best Track Talk Award bei EuroSTAR und den Best Speaker Award beim German Testing Day.
Das Ungewöhnliche daran ist, dass es gar kein technischer Vortrag ist. Es geht darum, wie das ist, wenn man auch bei der Arbeit offen über psychische Krankheitserfahrungen spricht. Allem Anschein nach trifft das auch und gerade in unserer technischen, analytischen Welt einen Nerv. Umso froher bin ich, dass ich diese Geschichte mit so vielen Leuten teilen darf, und ihnen sagen darf: „Du bist nicht allein.“
Dieses Jahr habe ich auch neue Vorträge zu neuen Themen gehalten. Und es stehen noch einige Konferenzen an. Bei AutomationSTAR darf ich sogar Teil des Programmkomitees sein. Es ist sehr spannend, auch mal diese Perspektive einzunehmen. Ich werde neue Vorträge halten, neue Communities kennenlernen, neue Städte erkunden, neue Freunde treffen. Und ich kehre auch zu den Agile Testing Days zurück. Diesmal halte ich eine Keynote, gemeinsam mit einer Freundin. Als ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal einen Vortrag von ihr gehört habe, dachte ich: „So möchte ich auch sprechen können!“ Jetzt sind wir Freundinnen, stehen gemeinsam auf der Bühne und halten eine Keynote. Ist das nicht aufregend?
Don’t reject your own proposal
Auf Konferenzen zu sprechen hat mir neue Welten eröffnet. Für euch kann es das auch tun. Wenn ihr euch fragt, wie man denn damit anfängt: mit einer Idee. Bei mir war das eigentlich ganz leicht. Ich hatte diese Geschichte in meinem Kopf, die rauswollte, die erzählt werden wollte. Die Ideen für den zweiten und dritten Talk waren zugegebenermaßen nicht ganz so offensichtlich für mich, aber gefunden habe ich sie. Mit einem davon habe ich wieder den Best Track Talk Award bei EuroSTAR gewonnen. Zum zweiten Mal in Folge, was für eine Ehre! Ich glaube, alle von uns haben etwas zu erzählen, wir müssen uns nur trauen.
Viele halten sich zurück, weil sie denken, sie hätten nicht genug Expertise. Aber die Wahrheit ist: Du bist Experte in deiner eigenen Perspektive, nur du kannst deine Sichtweise darlegen, und diese Perspektive kann nur bereichern. Manche fragen sich auch, ob überhaupt irgendjemand ihren Vortrag hören wollen würde. Auf diese Frage habe ich mal eine weise Antwort bekommen: „Don’t reject your own proposal!“ Dafür gibt es ja Programmkomitees, die werden schon wissen, was sie wollen! Die einzige Möglichkeit, herauszufinden, ob jemand den Vortrag hören will, ist es ihn einzureichen und zu gucken, was passiert. Klar kann es sein, dass er abgelehnt wird. Und das zwickt ehrlich gesagt auch immer ein bisschen. Aber das kann so viele Gründe haben, manchmal hatte einfach jemand anderes die gleiche Idee, manchmal hatte ein Reviewer schlechte Laune. Dann muss man es einfach nochmal versuchen. Bei den besten Konferenzen bekommt man auch wertvolles Feedback, was an dem Proposal gut war, und was noch überarbeitet werden könnte. Eigentlich kann man nur gewinnen, wenn man sich traut.
With a little help from my friends
Und dann ist da noch die Sache mit dem Lampenfieber. Das werde ich ganz oft gefragt: Was man denn macht, damit die Nerven nicht so flattern, wenn man vor dreihundert Zuhörenden auf einer internationalen Konferenz spricht. Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung. Kurz bevor ich auf eine Bühne gehe, spielen meine Nerven verrückt, meine Hände zittern und meine Stimme macht ganz komische Sachen. Aber wisst ihr was? Das ist erlaubt. Auch ganz ehrlich. Ich habe noch nie ein Publikum erlebt, das mir mein Lampenfieber übelgenommen hätte, selbst als ich einmal vor lauter Aufregung mitten im Vortrag völlig den Faden verloren habe und mich erst einmal sammeln musste. Auch nicht schlimm, das ist nur menschlich. Nach ein paar Minuten sprechen legt sich das Lampenfieber auch, und dann macht es wahnsinnig viel Spaß auf der Bühne zu stehen. Der Applaus könnte süchtig machen.
Ohne die Unterstützung (und leichten Tritt in den Allerwertesten) von cronn wäre das alles nicht passiert. Ich bin wirklich dankbar, dass wir ein Ausbildungsbudget haben, das uns Konferenzbesuche ermöglicht und uns diese Welt eröffnet. Vor allem aber, dass ich bei meiner eigenen Speaker-Karriere unterstützt werde, dass das jetzt Teil von meinem Job ist. Und ich bin meinen Kolleg:innen dankbar, die meine Proposals korrekturlesen, meine Proben anhören, obwohl sie längst mitsprechen können, mir die Daumen drücken, wenn ich auf der Bühne stehe und hinterher mit mir feiern. Ihr seid die Allerbesten!